Jae-sung Lee bei Mainz 05 :
Von Ausrufezeichen und Missverständnissen

Von Peter H. Eisenhuth, Mainz
Lesezeit: 3 Min.
Auf dem Zaun bei der Feier mit den Fans: der Mainzer Jae-sung Lee
Jae-sung Lee ist der Mann der Stunde beim Bundesligaverein Mainz 05. Erst nach der Fußball-WM dreht er in dieser Saison so richtig auf. Kann der Klub ihn halten – oder lockt nun Englands Premier League?

Mit Jae-sung Lee zu reden, wenn man des Koreanischen nicht mächtig ist, gestaltet sich schwierig. Zumindest für Journalisten, die mittels Gespräch wissen wollen, wie es um dessen Zukunftspläne bestellt ist. Der Profi des FSV Mainz 05 spricht Deutsch, allerdings nicht so gut, dass sich auf diesem Sprachweg die Verwirrung um seinen während der Winterpause verfassten Blogeintrag auflösen ließe. In dem hatte er vermutlich geschrieben, es sei Zeit für etwas Neues, er verspüre den Wunsch nach Veränderung, um noch einmal in einem anderen Umfeld zu wachsen.

„Vermutlich“, weil die 05-Verantwortlichen Anfang des Jahres nach eigenen Gesprächen mit Lee von einem Missverständnis sprachen. Bei dem ins Englische übertragenen Text handele es sich um Übersetzungsfehler. „Lost in translation passiert manchmal“, scherzte Bo Svensson: „Das merke ich manchmal, wenn ich amerikanische Filme mit deutschen Untertiteln sehe.“

Alles andere als „lost“ bewegt sich Lee derzeit durch die Bundesliga, in den vergangenen Wochen hat er bemerkenswerte Statistiken geschrieben. Fünf Tore erzielte der Offensivmann seit dem letzten Hinrundenspiel gegen Borussia Dortmund, zwei weitere bereitete er vor. Mal früh, gegen den BVB in der zweiten Minute, mal sehr früh – beim Rückrundenauftaktsieg über den VfL Bochum benötigte er nur 47 Sekunden. In allen vier Partien, in denen er in diesem Kalenderjahr traf, erzielte er das 1:0.

Außergewöhnliches Eintrittsalter

„Ich kann mir aktuell kein Mainz 05 ohne Jae-sung Lee vorstellen“, sagt Bo Svensson, und damit bezieht sich der Trainer nicht nur auf die vom Südkoreaner ausgehende Torgefahr. Wie Leandro Barreiro in seiner etwas defensiveren Rolle als Achter, bildet Lee die von Svensson geforderte Spielweise hundertprozentig ab: laufintensiv, aggressives Pressing, kompromisslose Zweikampfführung, schnelles Umschalten nach Ballgewinnen. Und es gehört dazu, dass er nicht selten auch tief in der eigenen Hälfte zu finden ist, um gegnerische Angriffe zu unterbinden.

Außergewöhnlich sind nicht nur Lees Leistungen, außergewöhnlich ist auch sein Eintrittsalter in die Bundesliga. Als 30-Jähriger absolviert er gerade mal die zweite Saison in der deutschen Eliteklasse, vorher verbrachte er drei Zweitligajahre bei Holstein Kiel, seiner ersten Station außerhalb der Heimat.

Die Mainzer holten ihn im Sommer 2021 ablösefrei an den Bruchweg, viel falsch machen konnten sie mit seiner Verpflichtung also nicht – auch wenn er seinen Dienst mit einem lädierten Sprunggelenk antrat, Mitbringsel aus einem Spiel mit der südkoreanischen Nationalmannschaft, und verspätet ins Mannschaftstraining einstieg.

Damals benötigte er zwei Monate, um einen Stammplatz zu erobern, in der Rückrunde bremsten ihn Verletzungen aus, dennoch standen am Ende vier Tore und drei Assists; es war ein mehr als befriedigendes Premierenjahr. In der laufenden Spielzeit jedoch hakte es. Lee wirkte nicht mehr so spritzig, so bissig, so unermüdlich, wie die Mainzer ihn kennengelernt hatten.

Gedanken an die WM lähmen

Obschon die Konkurrenz auf seinen Positionen nicht stärker war als zuvor – Jonathan Burkardt fiel häufig aus, die Neuzugänge suchten noch nach ihrer Rolle (Aymen Barkok) oder enttäuschten schlichtweg (Angelo Fulgini) –, vermochte er sich vor der Saisonunterbrechung nicht in der ersten Elf festzuspielen.

Die Antwort auf die Frage nach den Gründen ergab sich in der Vorbereitung auf die Restrunde quasi von selbst: Es waren die Gedanken an die Weltmeisterschaft, die ihn gelähmt hatten. „Die WM war das Highlight seiner Karriere“, sagt Svensson. „Dort für sein Land zu spielen, hat ihn sehr beschäftigt und viel mentale Kraft gekostet. Inzwischen sehen wir den Jae-sung, den wir aus der vorigen Saison kennen.“

Jae-sung Lee scheitert mit Südkorea erst im Achtelfinale an Brasilien. 1:4 lautet der Endstand.
Jae-sung Lee scheitert mit Südkorea erst im Achtelfinale an Brasilien. 1:4 lautet der Endstand.picture alliance / Action Plus

„Die WM hat uns mental gestärkt“, sagt Lee selbst über den Erfolg, mit Südkorea das Achtelfinale erreicht zu haben. „Jetzt kann ich entspannter spielen.“ Und mit den Fans feiern, von denen einige sogar eigens aus der Heimat einflögen, um ihn live zu erleben, erzählt er. Seinen vorläufigen Höhepunkt im 05-Trikot erlebte der 1:0-Mann im Mainzer „Fastnachtsspiel“ gegen den FC Augsburg, als er seine Gegenspieler wiederholt düpierte, auch den Treffer zum 3:1-Endstand erzielte und anschließend mit einem bunten Hut auf dem Kopf im Block stand und die „Humba“ zelebrierte.

„Ich fühle mich in der Bundesliga wohl, und ich fühle mich in Mainz wohl“, sagt der mit sieben erfolgreichen Abschlüssen und drei Torvorlagen zweitbeste Scorer der Rheinhessen nach Karim Onisiwo. Gleichzeitig ist da der Traum von der Insel: „Natürlich ist auch die Premier League attraktiv, mein Idol Ji-sung Park hat früher bei Manchester United gespielt.“

Was das nun für die 05er, die an diesem Samstag (15.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) bei Hertha BSC in Berlin spielen, bedeutet, ob es ihnen gelingt, den im Sommer nächsten Jahres auslaufenden Vertrag vorzeitig zu verlängern oder ob sie ihn womöglich nach dieser Spielzeit ziehen lassen, um ein paar Millionen Euro einzunehmen, ist offen. Klarheit darüber brachte auch keine Presserunde mit Lee, in die ein Dolmetscher involviert war.